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Gianna Nannini
Legende: Rock-Königin Gianna Nannini in Locarno Massimo Piccoli/Keystone

Live in Locarno 2025 Gianna Nannini zeigt dem Alter den Stinkefinger

Haltung, Hymnen und Herz: Auf der Piazza Grande macht die 71-Jährige deutlich, warum sie Rock-Königin-Status hat. Und warum Alter eine Option ist.

Und diese Frau soll 71 sein?! Man reibt sich verwundert die Augen. Von der ersten Sekunde an lässt «La Regina del Rock», wie Gianna Nannini in Italien genannt wird, keinen Zweifel daran, dass sie vom Altern etwa gleich viel hält wie von Konventionen.

Gianna Nannini
Legende: Rock-Königin Gianna hält Hof in Locarno. zvg

Mit über 30 Millionen verkauften Tonträgern weltweit gehört Gianna Nannini zu den ganz grossen italienischsingenden Stars. Und spätestens seit «Un'Estate Italiana», dem offiziellen Song der Fussball WM 1990, kennt die ganze Welt ihre unverkennbar kratzige Stimme.

Mamma mia, Gianna!

Den Konzertabend bei Moon&Stars in Locarno eröffnet Gianna Nannini mit «Panorama», der Synthie-Dance-Nummer, die sie im Mai veröffentlicht hat. Auf Neu folgt Alt, will heissen: «America». Also der Song, der im erzkatholischen Italien 1979 zu Schnappatmung und Stossgebeten geführt haben dürfte.

Denn Gianna Nannini besingt darin weibliche Selbstbefriedigung. Auf dem Plattencover war die amerikanische Freiheitsstatue abgedruckt, die anstelle einer Fackel einen Vibrator in den Himmel streckt. Mamma mia!

Altern ist optional

Gianna Nannini begann früh damit, gegen Konventionen aufzubegehren. Sie hat sich nie in traditionelle Rollenklischees pressen lassen, sondern sprach öffentlich über ihre Pansexualität, also Liebe unabhängig von Geschlecht, wurde mit 56 schwanger und heiratete ihre langjährige Partnerin.

Weiter geht's mit dem Song «1983». Das besungene Jahr stellte einen dramatischen Wendepunkt in Nanninis Leben dar, denn sie erlitt damals einen psychischen Zusammenbruch. Wie einschneidend dieses Erlebnis war, zeigt der Film «Die schöne Rebellin».

Darum geht's in «Die Schöne Rebellin» (2024)

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Das Biopic (Originaltitel: «Sei nell'anima») fokussiert auf die frühen Lebensjahre und den künstlerischen Durchbruch von Gianna Nannini, verkörpert von Letizia Toni.

Gianna wächst in einer konservativen Konditorfamilie in Siena auf und verfolgt trotz Widerstand ihres Vaters den Traum, Musikerin zu werden.

Der Film zeigt ihren Aufstieg zur Symbolfigur des Feminismus und endet mit dem psychischen Zusammenbruch 1983, den Gianna Nannini selbst als künstlerische Wiedergeburt bezeichnet.

Nach der Krise 1983 sei sie wiedergeboren worden und darum heute erst 42, scherzt Nannini im Interview mit Vogue. In «1983» singt sie: «La morte è obbligatoria, ma l′età è facoltativa» («Der Tod ist obligatorisch, aber das Alter optional»). Man glaubt ihr aufs Wort.

Wütend und verletzlich

Ohne viel Federlesens und bühnentechnisches Brimborium bietet Gianna Nannini einen musikalischen Querschnitt durch ihr Werk. Frühe Hits aus den 80ern sind dabei, etwa «Fotoromanza», «I maschi» und natürlich «Bello e impossibile», sowie ruhige, intime und persönliche Nummern des letzten Albums.

Gianna Nannini mit Gitarrist
Legende: Ordentlich einen reingerockt in Locarno Massimo Piccoli/Keystone

Die fünfköpfige Band rockt solide. Dann wieder nimmt sie sich zurück, sodass Nanninis stimmliche Varianz zur Geltung kommt. Die hat sie auch mit 71 noch, auch wenn zwei Sängerinnen bei den hohen langen Tönen etwas aushelfen.

Von Boomer bis Teenie

Gianna Nannini berührt mit ihrer Musik eine breite Palette an Menschen. Vor mir filmt ein graumelierter Herr mit eingeschaltetem Licht. Links von mir stehen zwei Frauen Arm in Arm und blicken selig Richtung Bühne. Hinter mir singt eine Gruppe junger Menschen inbrünstig jedes Wort mit.

Man spürt, dass es Gianna Nannini ein ehrliches Anliegen ist, Menschen mit ihrer Musik irgendwo tief drin zu berühren. Das Publikum quasi kollektiv zu umarmen. Spätestens beim letzten Song «Un'Estate Italiana» liegt sich dann tatsächlich die ganze Piazza Grande in den Armen.

Was von diesem Abend bleibt, ist die Gewissheit, gerade eine der ganz Grossen der italienischen Musik auf der Bühne gesehen zu haben. «La Regina del Rock» ist mit ihrer kompromisslosen Authentizität eine inspirierende Vorbild-Figur. Die ganz nebenbei dem Alter auch noch den Stinkefinger zeigt.

Gisela Feuz

SRF-Musikredaktorin

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Gisela Feuz hat schon in der Wiege gerne geheadbangt. Heute arbeitet sie als Musik- und Gesellschaftsredaktorin für SRF 3 und SRF2 Kultur und mag laute und brachiale, aber auch leise und vertrackte Musik.

Radio SRF 3, 18.7.2025, 09:20 Uhr

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